Mittwoch 6. Dezember 2017

Liebe Amelandfreunde!

Am Nikolaustag gibt es eine Geschichte für Euch. Außerdem habt Ihr noch bis heute 15 Uhr die Möglichkeit, uns ein selbstgemaltes Nikolausbild zu schicken, entweder per E-Mail an [email protected] oder per Whatsapp an 01522 4721017. Mit etwas Glück kommt Euch der Nikolaus dann heute Abend besuchen. Vielleicht schreibt Ihr also vorsichtshalber dazu, ab wann und wo Ihr zu Hause seid.

 

 

Der Pinguin von Myra

Es ist ein klarer, kalter Herbsttag auf Ameland. Biene und Floh freuen sich, dass sie mit dem kleinen Eselspinguin Hummels allein unterwegs sein dürfen. „Und ihr wollt eine Dreiergruppe sein?“ hatte die Leiterin, bei der sie sich abmelden wollten, kritisch gefragt. „Ihr wisst doch, dass immer mindestens drei Leute zusammen unterwegs sein sollen.“ „Und Hummels zählt gar nicht?“ hatte Floh daraufhin grinsend gemeint, und der kleine Pinguin, der seinen Namen gehört hatte, marschierte energisch schnatternd und flügelschlagend im Kreis herum. „Oh, da habt ihr ja einen guten Beschützer“, hatte die Leiterin lachend gesagt und sie gehen lassen.

Die drei steuern den Leuchtturm an. „Ich habe den alten Leuchtturmwärter so lange nicht gesehen“, sagt Biene. „Lass uns mal sehen, ob Pieter da ist.“ Als sie sein kleines Haus neben dem Leuchtturm erreicht haben, tritt gerade ein älterer Mann mit einem kurzgestutzten weißen Bart und blauer Schirmmütze vor seine Tür. „Schau mal Croaker, wir bekommen Besuch!“ sagt er in Richtung seiner rechten Schulter. Auf seiner Schulter sitzt – niemand. „Pieter und sein unsichtbarer Papagei!“ raunt Biene. Sie reicht dem Alten eine Erdnuss, der sie strahlend annimmt und dem Vogel auf seiner Schulter, den nur er sehen kann, anbietet. Hummels baut sich vor ihm auf und begrüßt ihn lautstark.

Bald sitzen sie in dem winzigen, gemütlichen Heim von Pieter. Viele Sitzgelegenheiten gibt es nicht und so haben die beiden Kinder auf dem Bett des Alten Platz genommen. Pieter hat den unsichtbaren Croaker auf seine Papageienstange gesetzt und sich seinen einzigen Stuhl herangezogen. Der Pinguin erforscht den kleinen Wohnraum, der vollgestopft ist mit Erinnerungsstücken des alten Leuchtturmwärters. Gerade zieht er aus einem Stapel mit Büchern, die auf dem Boden stehen, das unterste heraus. „Hummels!“ japst Biene und will aufspringen, denn der große Stapel schwankt bedenklich. Wenn er umkippt, kriegt Hummels alle Bücher auf den Kopf! Doch der Zirkuspinguin hat das Buch so schnell und geschickt herausgezogen, dass die anderen Bücher haarscharf stehenbleiben, während er selbst stolz mit dem Buch im Schnabel herummarschiert und es Biene schließlich in den Schoß legt. Es ist ein dickes altes Buch mit einem schön verzierten Buchdeckel. Man sieht einen Mann mit einem Bischofsstab und einer Bischofsmütze, der Mitra. Sein Gesicht sieht weise und gütig aus und er scheint Biene direkt in die Augen zu sehen. Sie betrachtet den Mann eine Weile. Im kleinen Wohnraum von Pieter ist es ganz still. Als Biene das Buch dann vorsichtig aufschlägt, sieht sie eine altmodische Schrift und Worte, die sie nicht auf Anhieb versteht.

Pieter tätschelt dem kleinen Pinguin nachdenklich den Kopf. „Merkwürdig, dass er genau dieses Buch herauszieht. Ich weiß noch ganz genau, wie ich es schon als Junge bekommen habe. Es war ein bitterer Dezember, nicht nur wegen der Kälte. Uns ging es damals nicht sehr gut, denn mein Vater war Seemann, und wir hatten schon sehr lange nichts mehr von ihm und seinem Schiff gehört. Viele Männer aus dem Dorf waren auf dem gleichen Schiff wie er, und die Frauen und Kinder auf Ameland lebten in Ungewissheit. Und in Armut, denn die letzte Heuer, also der Lohn meines Vaters und die Vorräte waren so gut wie aufgebraucht. Der Nikolaustag ist für uns immer ein besonderes Fest, doch wir hatten nichts mehr, womit wir feiern konnten. Am Morgen des sechsten Dezembers lag dann dieses Buch vor unserer Tür. Es war damals schon ein altes Buch, und ich konnte die Schrift nicht gut lesen. Also ging ich damit zu meiner Mutter. Die war sehr erstaunt über dieses ungewöhnliche und wertvolle Geschenk. Der heilige Nikolaus, von dem dieses Buch erzählt, ist der Schutzpatron der Kinder und der Seeleute. Es war so unerwartet und so passend. Sie schlug das Buch auf und begann, mir vorzulesen.“ Biene reicht dem Alten wortlos das Buch. Er schlägt es auf und beginnt zu lesen:

„Vor langer, langer Zeit war der Heilige Nikolaus der Bischof von Myra. Er war ein gütiger Mann, der die Stadt in Weisheit regierte. Die Menschen verehrten ihren Heiligen Bischof, der ihnen Gutes tat und die Stadt beschützte. Doch einmal herrschte eine furchtbare Not. Viel zu lange hatte es nicht mehr geregnet. Viel zu lange brannte die Sonne vom Himmel. Die Brunnen der Stadt waren erschöpft und die Menschen mussten mit ihren Krügen weite Wege gehen, um noch ein bisschen Wasser aus entfernten Brunnen zu holen. Die Felder waren verdorrt. Die Weiden waren verbrannt. Mensch und Tier fanden kaum Nahrung und eine schreckliche Hungersnot brach herein. Myra lag am Meer und hatte einen großen Hafen, doch schon lange war kein Schiff mehr vor Anker gegangen. Denn es gab nichts mehr, womit die Menschen in Myra Handel treiben konnten.

Bischof Nikolaus hatte in seinen Ställen schon längst keine Gänse, Schafe und Ziegen mehr. Alles hatte er an die Bewohner der Stadt verschenkt. Nur ein einziges eigenartiges Tier lebte noch bei ihm. Es war ein Vogel, den er in besseren Zeiten Seeleuten, die von weit her aus dem Süden kamen, abgekauft hatte. Doch der Vogel konnte nicht fliegen, dazu war er zu schwer und zu plump. Seine Federn waren ganz schwarz, nur sein Bauch war weiß. Mit seinen orangen Füßen watschelte er possierlich herum, und er war ein ausgezeichneter Schwimmer. Am eigenartigsten aber war die Stimme dieses Vogels, denn wenn er den Kopf nach hinten legte und den starken Schnabel öffnete, kam ein Laut heraus, der an das Geschrei eines Esels erinnerte. Der Bischof hatte große Freude an diesem eigenartigen Vogel, den die Seeleute Pinguin nannten. Jeden Morgen watschelte der Pinguin zum Hafenbecken, um zu schwimmen und sich einen Fisch zu fangen. Als nun die große Not herrschte, folgten die Menschen dem Vogel zum Hafen, denn er fing nicht nur für sich selber einen Fisch, sondern auch immer welche für die hungernden Menschen.

An einem Morgen aber kam ein großes Schiff in den Hafen. Es lag schwer und tief im Wasser, denn es war hoch mit Korn beladen. Die Menschen von Myra wollten jubeln, doch die grimmigen Matrosen richteten ihre Lanzen auf sie. Sie sollten nichts von dem Korn bekommen. Der Pinguin watschelte so schnell ihn seine merkwürdigen Füße trugen zum Heiligen Nikolaus. Er schnatterte und zerrte an dessen Gewand, so dass der Bischof schnell merkte, dass etwas geschehen war, und er folgte dem Vogel eilig zum Hafen. Freude durchzuckte ihn, als er das Schiff sah. Wann hatte er zuletzt ein Handelsschiff im Hafen gesehen? Doch irgendetwas stimmte hier nicht. Alle Menschen von Myra hatten sich auf dem großen Platz am Hafen versammelt und starrten stumm auf das Schiff. Noch immer hielten die Matrosen ihre Waffen auf sie gerichtet. „I-aaah!“ hörte man den Vogel schmettern. Die Matrosen blickten verwirrt umher, da sie den Esel, dessen Ruf sie vernommen hatten, nicht entdecken konnten. Alle Augen richteten sich auf Nikolaus und sein eigenartiges Tier. Der rief mit lauter Stimme: „Ich möchte mit dem Kapitän sprechen!“ Der Kapitän, ein grimmiger und stämmiger Mann, antwortete: „So komm, aber komm allein!“ und befahl seinen Matrosen, eine schmale Planke vom Schiff aus an Land zu legen.

Nikolaus betrat das Brett, das sogleich zu schwanken begann, und er drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Sein Vogel sprang flügelschlagend herbei und hielt den heiligen Mann im letzten Moment an einem Zipfel des Gewandes fest. Der Bischof fing sich wieder und ging langsam zum Schiff hinüber. Er sprach zu dem Kapitän: „Die Menschen von Myra leiden großen Hunger. Wir haben kein Brot mehr, und sogar das Korn für die neue Saat ist aufgebraucht. Bitte verkauft uns von eurem Getreide“. Der Kapitän verschränkte ablehnend die Arme vor der Brust: „Wir machen hier nur kurz Halt, um unser Schiff zu richten, das bei einem Sturm draußen auf dem Meer Schaden genommen hat. Das Getreide gehört dem Kaiser. Ich kann euch nichts verkaufen.“ Nikolaus sprach: „Um Gottes Willen, ich bitte euch! Die Menschen müssen sonst des Hungers sterben.“ Doch der Kapitän blieb fest: „Die Ladung ist bei unserer Abreise auf das Korn genau gewogen worden. Selbst wenn ich wollte, ich könnte euch nicht helfen. Wenn etwas von dem Korn fehlt, bestraft der Kaiser mich selbst mit dem Tod.“ Der Pinguin hatte den Kopf schiefgelegt und schaute von einem zum anderen. Dann stürzte er sich kopfüber in das Hafenbecken. Nikolaus suchte verzweifelt nach Worten, um den Kapitän überzeugen zu können, da tauchte der Vogel aus dem Wasser auf, sprang an Bord, legte dem Bischof zwei Fische vor die Füße und sah ihn mit klugen Augen an. Da kamen Nikolaus die richtigen Worte in den Sinn: „Unser Herr Jesus hat zwei Fische und fünf Brote mit Tausenden Leuten geteilt und es wurden alle satt. Sogar zwölf Körbe voll mit Resten sind übrig geblieben. Lasst uns etwas von dem Korn nehmen, um uns aus der Not zu retten, und ich versichere euch, dass kein Körnchen an der Ladung fehlen wird!“ Der Kapitän war misstrauisch, doch weil der Bischof so inständig bat, kletterte er an einer Strickleiter die Bordwand hinunter und machte einen Kreidestrich an das Schiff, genau an der Wasseroberfläche. Er rief: „So lasst denn Männer an Bord kommen und Korn ausladen. Doch es soll nicht weggetragen werden, sondern auf dem Platz ausgeschüttet. Der Kreidestrich wird uns anzeigen, ob sich das Schiff aus dem Wasser hebt, weil es leichter wird. Hebt sich das Schiff aus dem Wasser, bringt ihr sofort alles Korn wieder an Bord.“

So geschah es. Die Männer trugen Sack um Sack vom Schiff und schütteten das Getreide auf einen großen Berg mitten auf den Platz. Die Menschen von Myra bildeten einen großen Kreis um den Getreideberg. Würde dieses Korn ihre Rettung sein? Gebannt starrten alle auf den Kreidestrich an der Bordwand. Der Berg auf dem Platz wuchs und wuchs. „Nun ist es genug!“ Der Ruf kam von Nikolaus. „Das reicht, um unseren Hunger zu stillen und für die neue Saat. So kommt von Bord, Männer von Myra!“ Die Männer verließen das Schiff. Ungläubig starrte der Kapitän auf seinen Kreidestrich. Er kletterte nochmals die Bordwand hinunter um aus der Nähe zu betrachten, was die Menschen von Myra schon lange gesehen hatten: Das Schiff lag noch genau so tief im Wasser wie vorher. Der Kreidestrich hatte sich nicht das Kleinste Bisschen von der Wasseroberfläche entfernt. „An meiner Ladung fehlt nichts. So behaltet dieses Getreide, Bischof Nikolaus und tut Gutes unter den Menschen.“ Nun endlich erfüllte lauter Jubel das Städtchen Myra. Der Bischof rief: „Habt Dank, Herr Kapitän! Ihr Leute, verteilt das Korn gerecht unter allen und legt einen Vorrat für die neue Saat zurück. Ich werde heute noch in jedes Haus kommen, um zu sehen, ob es allen gut geht.“ So geschah es. Die Menschen von Myra verteilten das Korn, und das Schiff des Kaisers wurde schnell repariert. Einen großen Anteil daran hatte der merkwürdige Vogel des Bischofs, der schwer zu findende Schäden an der Schiffswand tauchend erreichte. Als das Schiff den Hafen verließ, wurde es begleitet von lautem Jubel, Gruß- und Segensworten der Leute von Myra. Bischof Nikolaus stand ganz vorne an der Hafenmauer, winkte mit dem einen Arm dem Schiff nach und hatte auf den anderen seinen Pinguin genommen. Den klugen Vogel, der in der Not bei ihm war.“

 

Pieter schließt das Buch. Es ist still, während Biene und Floh über die Geschichte nachdenken. Pieter sagt irgendwann: „Diese Geschichte hat mich damals unglaublich getröstet. Für meine Mutter und mich hatte dieses traurig erwartete Nikolausfest einen stillen Glanz bekommen. Und wie den Leuten von Myra ist auch uns noch an eben diesem Nikolausmorgen ein Wunder geschehen.“ Hier macht Pieter eine Pause, steht auf und krault gedankenverloren seinen unsichtbaren Papagei, während sich Hummels leise schnatternd an seine Beine schmiegt. Biene und Floh sehen sich fragend an, trauen sich aber nicht, Pieter aus seinen Gedanken zu reißen. Schließlich wendet er sich den Kindern zu und sagt leise: „Auch in unseren Hafen ist an diesem Tag ein Schiff eingelaufen und unsere Not hatte ein Ende. Mein Vater und die anderen Männer waren wieder da. Er war gesund und wohlauf, und wir waren unbeschreiblich glücklich. Noch dazu hatten sie erfolgreiche Geschäfte gemacht und die Männer brachten ihren Familien eine gute Heuer, Vorräte und sogar Nikolausgeschenke für uns Kinder.“

Später auf dem Nachhauseweg fragt Biene: „Hast du schonmal was von einer Legende von Nikolaus gehört, in der ein Pinguin vorkommt? Das ist ja unglaublich!“ Floh lächelt und entgegnet: „Hast du lesen können, was in dem Buch steht? Vielleicht hat der gute Pieter ein bisschen Seemannsgarn gesponnen!“ „Du meinst, er hat uns was vorgeflunkert?“ fragt Biene entrüstet. „Vielleicht nicht direkt geflunkert…“, meint Floh zögernd. Sein Blick fällt auf Hummels, der gerade seinen Kopf in einen Kaninchenbau steckt und fröhlich hinein i-aaht. „Obwohl, bei Pinguinen weiß man nie!“

 

Vera Booms nach einer Legende von Willi Fährmann

Zeichnungen von Thomas Bruckschen

Eine Antwort

  1. Vielen, vielen, vielen, vielen, vielen, vielen Dank für den absoluten Überraschungsbesuch. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr mich Eure Freundlichkeit, Selbstlosigkeit, Nächstenliebe berührt. DANKE, von Herzen.